Die Schacholympiade in Budapest war eine Meisterschaft der Superlative: 188 Teams traten in der Open-Kategorie und 169 Teams in der Women-Kategorie an. Damit stellte die diesjährige Olympiade einen Teilnehmerrekord auf. Alle Teams spielten zusammen in einem Spielsaal. Dies ergab eine besondere olympische Atmosphäre, die ich während jeder Partie sehr genoss.
Schachlich lief es für uns, die deutsche Frauen-Nationalmannschaft, vor allem am Ende des Turniers nicht wie erhofft. Nach 9 Runden lagen wir noch auf dem geteilten dritten Platz, mit zwei Mannschaftsniederlagen in den Runden 10 und 11 rutschten wir dann jedoch noch auf Platz 22 ab.
Wie immer möchte ich euch natürlich gerne von unserem Turnierverlauf in chronologischer Reihenfolge berichten:
Aufgrund des riesigen Teilnehmerfeldes ist der Elounterschied in der ersten Runde immer recht groß, sodass wir gegenüber unserem ersten Gegner, dem Kleinstaat Andorra, klar favorisiert waren. Aber aufgrund einer höheren Elozahl gewinnt man schließlich nicht automatisch Partien, jede Runde muss erstmal gespielt werden. Umso besser, dass wir, Dinara, Josefine, Hanna und ich, den Kampf ohne Wackler sehr souverän 4-0 gewinnen konnten.
Ich fand in meiner Partie gegen Alexandra Muratet Carmona zwei nette positionelle Ideen im klassischen Sizilianer.
Hier war …g5 ein starker Zug, der den f4-Bauern abtauscht und damit das Feld e5 und die h-Linie für die schwarzen Figuren erkämpft.
Wenige Züge später nutze ich das Feld für die Dame. Nimmt das nicht einen Doppelbauern und damit eine Schwächung der Bauernstruktur in Kauf? Im Gegenteil: Der Doppelbauer ist hier sehr stark. Er räumt das Feld d6, sodass der Le7 und ein potentieller Turm auf d8 freie Sicht bekommen. Die Bauern e6 und e5 kontrollieren die gesamten Zentrumsfelder, sodass z.B. der Springer auf c3 keinerlei Perpektiven besitzt. Als nächstes stürzte ich mich auf die Schwächen h2, g4 und e4, sammelte einen Bauern nach dem anderen ein und gewann. Eine schöne erste Olympia-Partie! 😊
In Runde 2 wartete unser Nachbarland Belgien als Gegner auf uns. Ich überspielte Sarah Dierckens in einem offenen Sizilianer. Sie spielte eine eher dubiose Drachen/Dragodorf-Variante.
Hier hebelte ich mit dem typischen Zug a4 den Bauern b5 an. Schwarz hat nun die unangenehme Wahl zwischen der Schwächung des Feldes b5 mit b4 Sa2 a5 c3 bxc3 Sxc3 und der Schwächung des a6-Bauern mit bxa4. Beides verspricht großen weißen Vorteil. Meine Gegnerin entschied sich für Letzteres. Schon bald fand ich eine forcierte Variante, die mir sehr großen Materialvorteil und damit den Sieg einbrachte.
Das Match gewannen wir zwar nicht ganz so souverän wie am Vortag, aber dennoch überzeugend mit 3-1.
In Runde 3 "versemmelte" ich in unserem Match gegen Slowenien meine schöne Stellung gegen Teja Vidic erst zum Ausgleich und stellte dann in Zeitnot schließlich noch die ganze Partie ein. Ärgerlich! Hanna gewann und glich meine Niederlage aus, da aber Elisabeth und Dinara nicht über ein Remis hinauskamen, endete das Match schließlich 2-2.
Am nächsten Tag setzte ich aus, das Match gegen Argentinien verfolgte ich also als Zuschauer. Elisabeth erarbeitete sich schnell eine sehr aussichtsreiche Stellung und gewann. Leider erwischte es aber dieses Mal in Zeitnot Hanna, die kurz vor der Zeitkontrolle einen entscheidenden Fehler beging und sich geschlagen geben musste. Remis von Dinara und Josefine: Wieder 2-2.
Es folgten zwei erfreulichere Matches gegen Schweden und Italien.
Die schwedische Spielerin Flavinia Valcu überraschte mich mit einer Trompowsky-Variante, die ich mir nicht in der Vorbereitung angeschaut hatte.
Natürlich weiß ich, dass hier der logische Zug e6 der Hauptzug ist, aber wie geht es dann weiter? Ich erinnerte mich an nichts und meine Gegnerin wird gegen diese Hauptfortsetzung sicherlich einiges in Petto haben. Also überlegte ich eine Weile, wie ich meine Gegnerin am besten aus ihrer Vorbereitung herausbringen kann, aber natürlich auch nicht wirklich schlechter stehe. Ich kam auf die Idee mit Sd7 einen Bauern zu opfern: Sie kann jetzt ihren Bauern auf c5 mit b4 decken, aber mir gefiel die schwarze Kompensation auf der langen Diagonalen mit g6, Lg7 oder h6 mit anschließendem g5/g6 Lg7. Tatsächlich gibt hier die Engine einen kleinen weißen Vorteil, aber die Stellung ist ebenfalls sehr gut spielbar für Schwarz. Meine Gegnerin fing nach Sd7 an, lange nachzudenken. Mein Plan war also aufgegangen: Ich hatte sie aus ihrer Vorbereitung gebracht. Sie entschied sich mit c4 zu spielen und nach Sxc5 den Läufer auf f6 abzutauschen. Gut für mich: Ich habe den Bauern zurück und das Läuferpaar. Ab hier wurde die Stellung immer besser und besser für mich, ich zerlegte souverän den König in der Mitte.
Josefine gewann eine schnelle Partie gegen Streamerin Anna Cramling, Elisabeth besiegte Inna Agrest und Dinara remisierte gegen Pia Cramling.
Ein hervorragender 3,5-0,5 Sieg.
Das gleiche gelang danach gegen Italien, ich setzte dieses Mal aus, Elisabeth, Josefine und Hanna gewannen überzeugend, Dinara spielte Remis.
Nun war die größte Hälfte des Turniers gespielt und es war Zeit für den Free Day.
Am Abend vor dem Free Day lud uns unser Sponsor Roman Krulich (Krulich Immobilien) zu einem Abendessen ein.
In Runde 7 steuerte ich einen wichtigen Punkt im Match gegen die Mongolei bei. Meine Gegnerin Bat-Erdene Mungunzul schwächte sich hier freiwillig mit g5. Dies selbst ist zwar noch kein Fehler, aber es macht die schwarze Stellung unglaublich schwierig zu spielen. Ich öffnete mit h4 Linien gegen den schwarzen König und gewann im Angriff schließlich die schwarze Dame. Der Kampf sah gut für uns aus: Josefine musste sich zwar geschlagen geben, Elisabeth spielte Remis, aber Dinara hatte eine aussichtsreiche Stellung mit Mehrbauer. Das Glück war hier nicht ganz auf unsere Seite: Dinaras Bauernmehrheit reichte schließlich nicht zum Sieg und es endete wieder im 2-2.
Auch in Runde 8 spielten wir ein unglückliches 2-2. Ich überschätze meine Angriff gegen Anna-Maja Kazanrians König gewaltig: Es war kein Durchkommen und schließlich geriet ich in einen Gegenangriff und musste mich geschlagenen geben. Trotzdem sah es zunächst gut aus für uns: Elisabeth hatte souverän gesiegt, Dinara remisierte und Hanna sich eine Gewinnstellung erarbeitet. Diese war plötzlich jedoch alles andere als einfach, es gab nur noch einen einzigen Gewinnzug und dann keinen mehr. Remis.
Nun fiel unserem Bundestrainer Yuri ein Muster auf: Wir spielten bisher immer abwechselnd zwei Matches, die wir gewinnen und anschließend zwei Matches, die wir Unentschieden spielten.
Dies setze sich auch im Match gegen England noch durch: Elisabeth und Dinara remisierten, Josefine und Hanna gewannen: 3-1!
Nun waren nur noch 2 Runden zu spielen und wir waren auf dem geteilten dritten Platz.
Als nächstes standen die starken Polinnen auf unserem Programm: Diese hatten bereits die starkaufspielenden und späteren Siegerinnen Indien besiegt.
Ich setzte erneut aus: Hanna und Josefine hatten beide gegen England gewonnen und so erschien es sinnvoll, das gegen England gewinnende Team nicht zu verändern.
Leider lief es für Dinara, Elisabeth, Josefine und Hanna gegen Polen nicht wie erhofft. Hanna geriet gegen Oliwia Kiolbasa schnell in eine schlechtere Stellung, kämpfte noch eine Weile, konnte die Niederlage jedoch nicht abwenden. Die Bretter 1-3 endeten Remis, sodass das Match 1,5-2,5 verloren ging.
Für die letzte Runde hatten wir dazu noch eine ordentliche Portion Los-Pech. Statt nach der Niederlage ein schwächeres Team zu bekommen, wurden wir gegen Armenien hochgelost. Natürlich ist auch Armenien theoretisch ein schlagbares Team für uns, doch die Armenierinnen hatten bisher ein sehr gutes Turnier gespielt.
Ich kam wieder zum Einsatz und spielte gegen IM Anna Sargsyan.
Sie spielte einen ungenauen Zug gegen meine Rossolimo-Eröffnung. Ich wusste zwar, dass dieser Zug ungenau sein muss, ich wusste allerdings nicht, warum. Es gab so einige Kandidatenzüge und ich fand zunächst die besten Züge. Aber Schach ist manchmal echt schwierig: Nachdem ich zunächst die genausten Züge zum Vorteil gefunden hatte, fand ich den vierten einzigen Zug, der Vorteil verspricht, dann nicht mehr. Und schwups, fand ich mich in einem schlechteren Endspiel wieder, in dem ich mich gegen das Läuferpaar verteidigen musste. Meine Gegnerin verstand es, mir große Probleme zu stellen, sodass meine Stellung immer schlechter wurde. Doch dann war sich meine Gegnerin ihrer Sache zu sicher: mit 50 Minuten auf der Uhr blitze sie eine Abfolge von sieben Zügen herunter und überlegte pro Zug keine 10 Sekunden. Die ersten fünf Züge davon waren noch gut, aber der sechste gab mir eine Chance zurück in die Partie zu finden. Danach verteidigte ich mich hartnäckig und ließ keine Gewinnchancen mehr auftauchen. So hielt ich schließlich Remis.
Leider lief es für das Team insgesamt nicht gut: Josefine und Dinara mussten sich geschlagen geben, Elisabeth remisierte.
Eine Mannschaft-Niederlage in der letzten Runde tut natürlich besonders weh, da man dadurch noch von vielen Mannschaften auf den letzten Metern überrollt wird. Letztendlich landeten wir auf Platz 22.
Eine sehr positive Nachricht gab es dennoch: Elisabeth holte die Silber-Medaille für ihre Performance am zweiten Brett.
Indien holte Doppel-Gold. Das indische Männerteam fegte regelrecht durchs Feld und ließ keinen Zweifel an ihrer Goldmedaille aufkommen. Bei den Frauen blieb es bis zum Schluss spannend: Kasachstan und Indien lagen vor der letzten Runde gleich auf. Da jedoch Indien mit einem überzeugenden 3,5-0,5 gegen Aserbaidschan gewann, während Kasachstan gegen die USA nicht über ein 2-2 hinauskam, holte sich Indien auch bei den Frauen die verdiente Goldmedaille.
Am Free Day und an den Tagen, an denen ich ausgesetzt habe, hatte ich auch etwas Zeit Budapest zu erkunden.
So machte ich u.a. eine Bootsfahrt auf der Donau vorbei am gewaltigen Parlamentsgebäude.
Vom Budaer Schloss, der Matthias Kirche und der Fischer-Bastei hatte man eine tolle Aussicht über die Stadt.
Natürlich probierte ich auch das typisch ungarische Langos und Chimney Cake.
Die Organisation lief teilweise etwas holprig, was man auch als Spieler zu spüren bekam.
Ein positiver Aspekt war definitiv der tolle Spielsaal, in dem alle Teams zusammen spielten.
Probleme gab es vorallem mit den Hotels: So mussten viele Länder ihre Delegation auf verschiedene Hotels aufteilen, so waren bei uns zum Beispiel die Männer- und Frauenmannschaft in unterschiedlichen Hotels untergebracht. Auch der Transfer zum Spielsaal klappte mehr schlecht als recht. Wir hatten gar keinen Transfer, was für uns allerdings zum Glück auch nicht notwendig war. Durch eine Abkürzung war der Spielsaal innerhalb von 10 min Fußmarsch zu erreichen und damit sogar dichter als wir vorher mit Google Maps gedacht hatten.
Die Probleme mit dem Transfer bekam auch Carlsen zu spüren. Der Transfer kam zu spät und so schwang sich Carlsen kurzer Hand auf ein Leihfahrrad und radelte durch den Regen zum Spielsaal. Was für eine Story!
Insgesamt habe ich das Event sehr genossen.
Wir hatten eine tolle Stimmung im Team und haben die Olympiade auch außerhalb der Partien als Team verbracht: So haben wir immer zusammen gegessen, unseren Teamspaziergang am Abend gemacht und die ein oder andere Runde Stadt Land Fluss zusammen gespielt.
Vor Ort wurden wir vom DSB-Öffentlichkeitsteam, bestehend aus Katharina und Matthias, begleitet. Schaut euch gerne die Impressionen-Filme, Fotos und Interviews an, es lohnt sich 😃
Auf meinem eigenen YouTube-Kanal "Laras Chess College" werdet ihr in der nächsten Zeit auch die ein oder andere Partieanalyse einer Olympiade-Partie finden.
Bis bald,
eure Lara
Titelbild fotografiert von Katharina Reinecke
Danke für den Bericht, gut geschrieben